ja, super, Tweedy hat's wieder mal geschafft, seine riesige Wilco-Gemeinde
all over the world ganz schön zu verwirren! Oder gar zu schocken?!
Zu vermuten ist: ungläubiges Staunen und nochmal hinhören, ob
nicht ein Pressfehler mit falscher Musik vorliegt - bei denen, für
die 'Yankee Hotel Foxtrot' das Maß der Dinge ist, die sich an der
Experimentierfreudigkeit der Band erfreuen, die Tweedy als "sonic
innovator" goutieren, Wilco's Noise-Eskapaden liebgewonnen haben
und Alt.Country, No Depression oder die Uncle Tupelo-Vergangenheit als
hippieske Bürde betrachten, die längst überwunden schien.
Nicht dass Wilco nach 3-jähriger Studiopause etwa zum Stil ihres
95er Debüts 'A.M.' zurückkehrten, aber sie haben sich halt auch
völlig von den Inhalten und Formen von 'HYF' (2002) und 'A Ghost
Is Born' (2004) abgewandt. Jeff Tweedy's kreativer Gegenpol Jay Bennett
ist zwar schon lange weg, erst jetzt allerdings scheint die kapitale Gruppe
aus Chicago nach etlichen Umbesetzungen endlich stabil und so traumhaft
dicht beieinander wie nie zuvor. Es ist dasselbe Sextett wie auf dem 'Kicking
Television'-Livealbum: Tweedy und Nels Cline mit elektrischen Gitarren
(oft Twin Lead Guitars in Stereotrennung, wobei Cline messerscharfe, für
ihn ungewöhnlich Rock-konventionelle Jerry Garcia-meets-Tom Verlaine
Soli der Extraklasse hinlegt, daneben hört man auch Stücke mit
akustischen, Lap & Pedal Steel Gitarren); Pat Sansone und Mikael Jorgensen
an den Tasten (perlende bis rollende Klavier- plus Orgelkaskaden oder
E-Piano - kein Platz mehr für Elektronik!) sowie die bewährte
Rhythm Section (John Stirratt/Bass und Glenn Kotche/Drums), die noch nie
zuvor so derart unaufgeregt, relaxed und unbedingt Song-orientiert gewerkelt
hat. Über allem thront Tweedy's Gesang: meistens sanft, entspannt,
plötzlich laut und zupackend, jederzeit angenehm uneitel, manchmal
auf geradezu unheimliche Weise an John Lennon gemahnend. Und genau das
ist auch der Gesamteindruck dieser sagenhaft friedvollen, meist in einem
leicht schläfrigen mittsiebziger Grateful Dead-Shuffle/Slow Boogie
(erinnert an 'From Mars Hotel' und somit auch sehr an 'Cold Roses' von
Ryan Adams!) mit nur wenigen, aber zielgerichtet eingesetzten dynamischen
Brüchen (á la early Steely Dan) vor sich hin trabenden Platte,
deren 12 Tracks gekonnt miteinander zu einem großen Ganzen verwoben
sind. Von denen aber durchaus einzelne als Wilco-Meisterwerke-für-die-Ewigkeit
herausragen: 'You Are My Face', 'Impossible Germany', 'Shake It Off',
'Hate It Here', 'Walken', 'On And On And On'. Fast durchweg im Team komponiert
und ohne Overdubs live-im-Studio eingespielt. Jeff Tweedy & Co. sind
mit sich absolut im Reinen und ich möchte wetten, dass sich - spätestens
wenn im Dezember die Year End Charts zusammengestellt werden - alle Wilco-Fraktionen
in ihrer Begeisterung einig sein werden. Bei mir ist für 'Sky Blue
Sky' schon mal ein vorderer Platz reserviert!
(Glitterhouse)
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