Bei manchen dauert es wirklich länger, bis sie etwas wirklich Gutes auch als solches erkennen. Da geistert die optisch eher unscheinbare Papp-Promo-CD seit Wochen hin und her durch das Tonträger-Gewirr auf meinem Schreibtisch, und selbst große beteiligte Namen wie Vance Powell (Mixing/Kings Of Leon, Jack White, White Stripes), Richard Dodd (Mastering/George Harrison, Tom Petty, Dixie Chicks) oder Israel Nash Gripka schaffen es nicht, die CD bis ins Abspielgerät zu hieven. Vielleicht liegt es ja wirklich an meiner eingestandenen einäugigen Blind-Huhnigkeit, wenn es darum geht, kostbare Country-Körner deutscher Provenienz zu würdigen, die mich bislang hinderte, dieses in Deutschland, UK und USA aufgenommene Prachtstück der Bremer Band um Kopf, Hirn und Stimme Jörn Schlüter als das zu nehmen, was es ist: Ein einzigartig gelungenes, vielfarbig schillerndes, rundum überwältigendes Meisterstück des gesammelten, weltweiten Americana-/Desert-/Country-Rock-Wesens. Streng genommen sollte ich mir das ganze „Nicht-vor-internationalen-Vergleichen-verstecken“-Schmarrn einfach sparen, denn das zweite Album-Prachtstück der Bremer (auf Haldern Pop) ist reifste Alternative Country-Kunst, ganz ohne Grenzen oder Herkunftsangaben. Hier findet sich wirklich alles, was der Americana-Anhänger begehrt: Twangene, gleißende, saftig verzerrte Gitarren von fein-filigraner Kings Of Convenience Quiet-Kunst über singend-segnende Steel-Guitar bis hin zur beidhändig geschwungenen Neil Young-Axt, das komplette Wurzelinstrumentarium mit Banjo, Fiddle und Akkordeon, aber auch kunstvolle Streicher-Sätze von barocker Eleganz, eine bewegend-berührende Solo-Stimme, delikate Duett-Gesänge und herzergreifende Harmonie-Chöre, treibende Roots- und deftig schleppende Country-Rocker, düstere Wüsten-Winde und fast schon progressive Klang-Rausch-Phantasien, exotische Elemente und ansteckend-akustische Lagerfeuer-Folk-Flammen, sanfte Sentenzen und machtvolle Mauern, Leonard-Cohen-Düsternis, Al Stewart-Weichheit, Nils Lofgren-Harmonie-Klarheit, Thom Yorke-Gefühlstiefgang, Mumford-Mitreißen, Pub-hymnische Go-Betweens-Gelassenheit. Das seit langem vielfältigste Wurzel-Werk, der bunteste Alternative-Country-Cocktail, das herzhafteste Americana-Amalgam kommt derzeit aus Norddeutschland. Verzeiht mir meine Ignoranz, aber besser spät als nie und: Gute Musik wird ja zum Glück nicht schlecht!
(cpa, Glitterhouse)