Spidergawds musikalischer Ausflug in die Vergangenheit
Gerade einmal ein Jahr nach ihrem letzten Album »III« legen Spidergawd 2017 bereits ein neues Werk nach. Dabei behalten Sie ihre pragmatische Namensgebung bei. Hier ist »IV«.
Inhaltlich haben die Norweger aber ein bisschen was verändert. Die neuen Songs können getrost als musikalische Zeitreise deklariert werden. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich auf »IV« aus ihrer musikalischen Komfortzone bewegen, denn die liegt immer noch zwischen brachialen aber melodischen Riffs, ausgefeilten Soli und dem Spiel einer Rhythmusgruppe, die ihresgleichen sucht. Dazu trägt seit Kurzem auch der neue Bassist Hallvard Gaardløs bei. Last but not least ist da noch die unverkennbare Reibeisenstimme von Per Borten.
Die Inspiration und die Einflüsse auf dem neuen Album haben sich allerdings hörbar weiterentwickelt. Und so ist »IV« ein Tribut an die New Wave of British Heavy Metal, an Bands wie Motörhead, Thin Lizzy, Iron Maiden und Judas Priest – aber eben ohne, dass Spidergawd dabei ihren eigenen Signaturesound aufgeben.
Das Ergebnis ist ein regelrechtes Hardrockmonster, das seine Hörer ein Stück weit mit zurück in die Vergangenheit nimmt. Hier ist Spidergawds »IV«.
Muskulös und melancholisch - auf Metal-Zeitreise.
Es gibt Platten, da reichen im Prinzip drei, vier mit dezentem Kopfschütteln und geweitetem Blick ausgesprochene Worte, um alles auf den Punkt zu bringen: Alter, das ist der Hammer.
Gönnen wir den Spinnengöttern dennoch ein paar Sätze mehr, wir sind ja nicht zum Spaß hier. First things first: Motorpsycho-Bassist Bent Sæther, der auf den ersten drei Spidergawd-Alben den Bass bediente, hat das Feld geräumt. An seine Stelle ist der junge Hallvard Gardlos getreten. Der sieht nicht nur aus wie Saethers kleiner Bruder, sondern ist auch ähnlich bewandert in dieser Art von Bass-Spiel. Auf einer Bandbreite zwischen Motörhead-Wäscheleine und verfrickelten Jazz-Riffs im 7/8-Takt beherrscht er alles. Das war es aber auch schon mit Änderungen, alle weiteren äußeren Koordinaten sind fix bis hin zum proggigen Artwork, das wie gewohnt aus der digitalen Feder von Morel Emile stammt.
Stilistisch hat sich da schon einiges mehr getan. Man kann die ersten drei Alben, die in kurzen Abständen seit 2014 erschienen sind, als Tryptichon eines Sounds verstehen, der als thinking men‘s Stoner Rock daherkam und monstermagnetischen PsychOut mit tiefergelegtem AltRock zwischen QOTSA, den Foos und 70s-Sprenkseln kombinierte. "IV" gerät nun zur Ehrerbietung an die Früh-80er-Riege aus dem Spannungsfeld zwischen Metal und klassischem Hardrock. Schon fast unverschämt authentisch, wie Drummer Kenneth Kapstad da den Tom-Auftakt rausbrettert, sein Beckengelöt die Saiten und das Sax zum metallischen Tutti reinholt, um dann kopfüber in jenen Galopp zu stürzen, in dem auch Maiden mit wehenden Federn zu den Hügeln reiten.
"Is This Love?" ist dabei die Art von Opener, nach der eigentlich kaum noch etwas kommen kann oder kommen muss: Untenrum bollert die Strophe becken-reduziert auf den mittelgroßen Kesseln, kurze Bridge, nochmal das ganze, um anschließend in einen Chorus zu fallen, der von Euphorie bis Melancholie, von Sonnenlicht bis tiefschwarzer Nacht alles in sich trägt. Ein fragendes Fanal, das nach Aufstand und Abbruch klingt, wie Liebeskummer und frisch verknallt in einem. Später dann zergniedelt Per Borten noch ein Solo, das Kapstad mit Drum-Figuren aus dem Hause Neil Peart wieder auf den Boden holt, woraufhin alle nochmal in diesen unglaublichen Chorus stürzen, so genial beiläufig, als hätten sie sich just in dem Moment erst entschieden, diesen Part so zu spielen.
Uff.
Überhaupt Per Borten: Allein sein Look holt den Spidergawd aus der soundtechnisch möglicherweise assoziierten Klischee-Ecke. Borten könnte ebenso gut mit einem Galao auf dem Hamburger Schanzenstrich sitzen, wie er da im Studio mit Hipsterschal um den Hals spielt und sich zwischen zwei monströsen Riffs die angeschwitzte Kassenbrille mit zwei Fingern wieder nach oben schiebt. Und dann doch so kehlig und röhrend klingt wie ein kuttenbewehrtes Urvieh, irgendwo aus einer Rockspelunke in Birmingham oder Sheffield.
Der Spannungsbogen bleibt bei aller Liebe zur Variation im oberen Bereich gekrümmt: "I Am The Night" täuscht Funk an, mit einem Bassriff, das Flea sich vor Freude auf den Unterarm tätowieren würde, "LouCille" gelingt das Kunststück, selbst cheesigste, harmoniegesangsüßliche Zeilen wie "You're not alone, baby, my wings are free" glaubwürdig klingen zu lassen, macht dabei hallengroße Riffräume auf, aus denen einem der Geist von Phil Lynott, in ein Kiss-Shirt gekleidet, entgegenfällt. All dem gibt der ebenso bescheiden wie prägend im Hintergrund spielende Rolf Martin Snustad mit seiner Sax-Kanne den bauchigen Unterboden, das Fundament, auf dem Borten alle Freiräume genießt und den Anker für seine flugtauglichen Soli findet.
"Ballad Of A Millionaire (Song For Elina)" kommt wie eine verhuschte Midtempo-Schönheit zwischen Space-Gitarren und Scorpions-Drama daher, "What You Have You Become" klingt, als hätten sich die Daves - Wyndorf und Grohl - in der Garage getroffen, um auf Judas-Priest-B-Seiten herumzujammen, Twin-Guitars und Solo-Haushochstapelei inklusive. "What Must Come To Pass" schert muskulös-melancholisch Richtung Progrock aus, "Heaven Comes Tomorrow" macht dann endgültig die Norsk Wave of British Heavy Metal, "Stranglehold" lässt die Nachbarn von Kvelertak mit an Mikro und Gitarre und fährt auf eisernen Riffschienen in den Sonnenuntergang. Womit wir wieder beim Anfang wären: Das ist der Hammer. Is this Love? Damn sure it is.
(Ingo Scheel, www.laut.de)