In den letzten beiden Jahren war Nils Frahm damit beschäftigt, ein brandneues Studio in Berlin zu bauen, um dort sein siebtes Studioalbum »All Melody« aufzunehmen, das bei Erased Tapes erscheinen wird. Danach wird er seine erste Welttournee seit 2015 antreten.
Seitdem Nils das erste Mal das beeindruckende Tonstudio eines Familienfreundes erleben durfte, war es sein größter Wunsch, eines Tages auch so einen Ort zu erschaffen. Ein Sprung in die Gegenwart und Nils ist inzwischen stolzer Gastgeber des Saals im historischen Berliner Funkhaus aus den Fünfzigern. Einen Großteil der letzten Jahre hat er hier, direkt am Spreeufer, damit verbracht, den gesamten Raum auseinanderzunehmen und wieder aufzubauen: sämtliche Kabel, Leitungen, Vertäflungen zuerst, dann folgten die feineren Einbauten — u.a. eine Orgel und ein komplettes Mischpult, die er beide in Eigenregie mit Hilfe von Freunden konstruierte. So entstand ein Ort, an dem Musik wachsen kann, wo Ideen kultiviert werden können — wo sie einfach Platz haben. Und wo er seine Musik so präsentieren kann, dass es seinen eigenen Vorstellungen so nah wie möglich kommt.
Zu seinen Vorgängeralben gab’s oftmals eine Geschichte: Bei »Felt« (2011) zum Beispiel waren jene Filzbeläge titelgebend, die er damals auf den Hammerköpfen seines Klaviers anbrachte, um die Nachbarn bei nächtlichen Aufnahme-Sessions in seinem alten Heimstudio nicht zu belästigen. Beim Nachfolger »Screws« (2012) war es die Verletzung am Daumen, die ihn dazu zwang, mit nur neun Fingern zu spielen. Sein kommendes Album hingegen entstand aus den immensen Freiräumen und Möglichkeiten, die das neue Kreativreich an der Spree ihm bot, weshalb Nils nun keinerlei Einschränkungen mehr hatte: so dreht sich hier alles um die Melodien selbst — »All Melody«.
Obwohl es mit den majestätischen Wänden des Funkhauses doch konkrete Außenlinien gab, das Album tief vergraben in den Hallkammern wie auch in einem trockenen alten Brunnen auf Mallorca entstand, ist »All Melody« letztlich der Beweis dafür, dass Musik eben keine Grenzen kennt. Dass sie zeitlos ist. Und dass Nils einen sehr langen Weg zurückgelegt hat — vom bloßen Traum eines Jungen bis an den Punkt, an dem er die Parameter der Musik im eigenen Studio komplett selbst steuern kann.
In eigenen Worten von Nils, Oktober 2017:
»Im Prozess der Fertigstellung bringt jedes Album wohl nicht nur ans Licht, was es ist, sondern vielleicht noch wichtiger: was es nicht geworden ist. In meiner Vorstellung war ›All Melody‹ so vieles im Laufe der Zeit, und es war auch tatsächlich vieles – aber nie genau das, was ich ursprünglich geplant hatte. Ich wollte zum Beispiel wunderschöne Trommeln hören: Trommeln, wie ich sie nie zuvor gesehen oder gehört habe, begleitet von menschlichen Stimmen, dem Gesang von Mädchen und Jungen. Sie sollten ein Lied singen, das klar von dieser Welt stammt, aber doch so klingt, als ob er aus einer ganz anderen Sphäre stammen würde. Ich hörte einen Synthesizer, der wie ein Harmonium klingt, auf dem die ›All Melody‹ gespielt wird – was mit einer Harmonium-Melodie verschmelzen würde, die wie ein Synthesizer klang. Meine Orgel würde sich in eine Drum-Machine verwandeln, während meine Drum-Machine wie ein Orchester aus Flötenklängen klingen würde. Ich wollte mein Klavier in meine eigene Stimme verwandeln, und jede Stimme in vibrierende Saiten. Die Musik, die ich in meinem Inneren höre, wird wohl nie auf einem Album landen – denn ich kann sie scheinbar nur für mich selbst spielen. Dieses Album vereint diejenigen Aufnahmen, die meines Erachtens nach hervorstechen, und es beschreibt meine jüngsten musikalischen Entdeckungen auf die für mich denkbar beste Art.«
Das Cover von »All Melody« hat die Fotografin Lia Darjes in Nils’ neuem Studio geschossen, woraufhin Torsten Posselt von Feld das Design beisteuerte. Eine ganze Serie solcher Studiofotos ist im Booklet des physischen Tonträgers zu sehen.
Die große Stärke dieser CD ist neben ihrer betörenden Melodik das logische Ineinanderfließen des Gegensätzlichen.
(stereoplay, Februar 2018)
All Melody is the first album German composer/musician Nils Frahm recorded in a studio he spent two years building, located in the historical Funkhaus complex in Berlin. In the liner notes, he goes into extensive detail about the studio's acoustics, and how the recording process took several turns, resulting in something that often diverged drastically from his original intentions. He mentions that he wanted to turn sounds into other sounds, and hear things he'd never heard before. To achieve this, he deviated from his previous self-imposed rule of not including guest musicians on his solo albums, and worked with an extensive cast of collaborators, including cellist Anne Müller, percussionist Sven Kacirek (who plays bass marimba on the album), trumpeter Richard Koch, and London-based choral ensemble Shards. The result is some of the richest and most ambitious work he's created to date. However, he manages to maintain a simplicity and intimacy, and above all, a sense of spaciousness. Frahm explains that all of the album's sounds were played using physical instruments, as opposed to being digitally generated and edited, and that everything was mixed and mastered at a lower volume in order to preserve the original dynamics and keep the music from being compressed. It's closer in spirit to Frahm's acclaimed 2013 live album Spaces than any of his other recordings, and both the complex, arpeggio-heavy title track and the similar "#2" recall that album's breathtaking standout "Says." "Kaleidoscope" also ventures in this direction, adding a colorful, rapid pipe organ pattern and graceful choral vocals. All Melody seems like a curious title for an album which often seems soft and sparse; the keys clacking during "My Friend the Forest" are almost as loud as the notes themselves, and the whole piece is set against a backdrop of silence. Kacirek and Müller are credited, but it's difficult to discern their contributions to the piece. The title All Melody seems to refer to the singularity of the sounds combining together. It also suggests that while empty space is often a major element to the album, what is present is entirely melodic, and purely based in emotions.
(by Paul Simpson, All Music Guide)