Seit mehr als 30 Jahren bahnt sich die Singer-Songwriterin und Gitarrenheldin Mary Timony einen unverwechselbaren Weg durch die Welt der Independent-Musik, zuletzt als Sängerin und Gitarristin des gefeierten Garage-Pop-Power-Trios Ex Hex (Merge), aber auch als Mitglied der bahnbrechenden Postpunk-Band Autoclave (Dischord), gefeierte Frontfrau der zutiefst einflussreichen Helium (Matador), vielseitige Solokünstlerin (Matador, Lookout!, Kill Rock Stars) und Mitbegründerin der Supergruppe Wild Flag (Merge).
Von Carrie Brownstein von Sleater-Kinney als »Mary Shelley mit einer Gitarre« beschrieben und von Lindsey Jordan alias Snail Mail als »Wegbereiterin und Innovatorin« bezeichnet, hat sich Timony als eine der einflussreichsten ihrer Generation hervorgetan. Obwohl sie seit den frühen 90er Jahren eine Kultheldin und ein Kritikerliebling geblieben ist, wurden Timonys zahlreiche Triumphe lange Zeit durch lähmende Zweifel und Selbstzerstörung ausgeglichen.
Ihr fünftes Soloalbum, Untame the Tiger, geht diese Emotionen frontal an. Ihre erste Solo-Veröffentlichung seit 15 Jahren ist das verblüffende Dokument einer Künstlerin, die im vierten Jahrzehnt ihrer Karriere voll und ganz zu ihrer eigenen Kraft findet. Es ist das Ergebnis der Lektionen, die sie während eines lebensverändernden Kampfes gelernt hat. Das mystische, akustisch geprägte Untame the Tiger entstand nach der Auflösung einer langjährigen Beziehung und wurde durch den Tod von Timonys Vater und Mutter überschattet.
Das Album wurde während einer zweijährigen Periode aufgenommen, in der sie die Hauptpflegeperson für ihre kranken Eltern war. Die tektonische psychische Verschiebung, die Mary aufgrund dieses Verlustes erlebte, prägt viele ihrer Texte. Das herausragende Stück »No Thirds« »ist ein Song darüber, alles zu verlieren und immer weiterzumachen«, sagt Timony. »Ich wollte, dass die Strophen wie ein weit offener, karger Raum klingen, als würde man durch eine Wüste fahren, denn darum geht es in dem Song - Menschen zu verlieren und das Gefühl zu haben, dass deine Zukunft ein riesiger, weit offener, leerer Raum ist.« Die schlichte akustische Instrumentierung von »The Guest« erinnert an die Sweetheart-Ära der Byrds. Timony beschreibt es als ein Lied, das direkt auf die Einsamkeit gesungen wird: »Ich habe mir die Einsamkeit als einen Hausgast vorgestellt, der ständig an deine Tür klopft. Ich dachte, es wäre witzig zu sagen, dass die Einsamkeit der Einzige ist, der immer wieder zurückkommt.«
»Untame the Tiger« verschmäht Timonys Ruf als Gitarrenheld nicht; im Gegenteil, »Summer« genießt ihn geradezu, ein geradliniger Knaller, den man fast als »schnörkellos« bezeichnen könnte, bis sein anfänglicher Garagenrock-Stomp in die unerwartete Glückseligkeit eines doppelten Gitarrensolos mündet. »Ich wollte, dass die Aufnahme die Energie der Kinks, der frühen Dio und Elf oder von Rory Gallagher hat«, erklärt sie. »Ich habe auch viel von Gerry Raffertys erstem Soloalbum gehört und war inspiriert, zwei gleichzeitige Gitarrensoli zu haben.«
Untame the Tiger nimmt den Faden auf, der sich durch Timonys Freak-Folk-erwartungsvolle Soloalben der frühen 00er Jahre zieht. Die Basis-Tracks wurden im Studio 606 in Los Angeles aufgenommen, wobei Timony von Dave Mattacks, dem Schlagzeuger der legendären britischen Folk-Rock-Band Fairport Convention, unterstützt wurde. »Mattacks ist ein Held von mir und einer meiner Lieblingsmusiker aller Zeiten. Er ist eine wahre Legende. Ich hätte nicht in einer Million Jahren gedacht, dass er sich bereit erklären würde, auf meiner Platte zu spielen«, sagt Timony. »Vor der Session hatte ich eine Panikattacke und musste mich alleine auf den Parkplatz setzen, Als wir dann anfingen, zusammen zu spielen, fühlte es sich so großartig an, dass die Angst nachließ und sich in Aufregung verwandelte. Sein Spiel fühlte sich sofort vertraut an, was Sinn macht, weil es die Grundlage vieler meiner Lieblingsplatten ist.«
Untame the Tiger wurde von Mary Timony, Joe Wong und Dennis Kane produziert. Das Album wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren im Studio 606, Magpie Cage, 38North und in Marys Keller aufgenommen. Die zusätzliche Technik stammt von J. Robbins (Jawbox, Burning Airlines). Zu den Musikern gehören Chad Molter (Faraquet, Medications), David Christian (Karen O, Hospitality), und Brian Betancourt (Cass McCombs, Devendra Banhart, Hospitality). Gemischt wurde das Album von Dave Fridmann (MGMT, The Flaming Lips, Mercury Rev), Dennis Kane und John Agnello (Dinosaur Jr., Kurt Vile, Waxahatchee).
.​.​.​die klare Klangdynamik kommt ebenso zur Geltung wie die perfekt abgestimmte Produktion.​ Das vorliegende transparent-pinke Exemplar sieht außerdem noch gut aus und passt hervorragend zum von Colin Burns designten Artwork.​
(MINT, April 2024)
Die Amerikanerin Mary Timony hat schon in sehr vielen Bands gespielt (Autoclave, Ex Hex, Wild Flag), ich lernte sie einst via Helium kennen. Solo hat sie es in den frühen 2000ern zu drei eigenen Alben gebracht (teils auf Matador), jetzt hat sie ein neues Werk am Start. Das überzeugt mich gleich mit dem herausragenden ersten Song „No Thirds“, ein stoisch-eleganter Sechsminüter von innerer Ruhe, getragen von einer ganz wunderbaren Gitarrenlinie (Riff wäre zu hart ausgedrückt). Mit Feelies-Vibe und eleganten Streichern (elektronisch?). Am Ende umspielen sich zwei munter plinkernde Gitarren sowas Schönes könnte ich ewig hören. Im Weiteren geraten manche Songs auch etwas schlichter im Sinn von unaufdringlich und wohlgeordnet. Die Gitarre ist durchgehend toll, angenehm unprätentiös aber doch sehr präsent ein bisschen fühle ich mich an Richard Thompson erinnert. Marys Gesang ist dagegen eher unauffällig, was aber kein bisschen stört. Der nächste Topsong heißt „Looking For The Sun“ und ist eine stoische Meditation auf der Basis einer akustischen Gitarrenfigur, teils mit kleinem Velvet Underground-Vibe. Die Gitarre verliert sich mal in elegischer Eleganz oder wird mit sparsamem Slide solide geerdet langweilig wird Mary Timonys Sechssaiter jedenfalls nie. Mein dritter Lieblingssong „Untame The Tiger“ erinnert gar deutlich an die jugendlich frische Joni Mitchell, was das Album endgültig zu einer souveränen Songsammlung einer gereiften Künstlerin abseits aller Trends und Genres macht. Am Schlagzeug sitzt erstaunlicherweise der legendäre Brite Dave Mattacks von Fairport Convention.
(Joe Whirlypop, www.glitterhouse.de)