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        Lucinda Williams kann man wohl kaum als emsige Arbeitsbiene bezeichnen. 
        Gerade mal vier Alben hat sie - auf vier verschiedenen Labels - seit ihrem 
        Meilenstein Car Wheels On A Graves Road" von 1998 veröffentlicht. 
        Die spröde Blonde gilt als Perfektionistin. Sie, so wird in den Studios 
        gemunkelt, feilt und schraubt so lange an den Songs herum, bis sie für 
        sie perfekt klingen, das heißt: perfekt unperfekt. Gerade eben so, 
        als habe man sie spontan eingespielt. Heikel, heikel ... 
        Für das neue Album West" nahm Hal Willner (u.a. Lou Reed, 
        Marianne Faithful) den heißen Produzentenstuhl neben ihr ein. Gemeinsam 
        mit Musikern wie Star-Drummer Jim Keltner (Clapton, Lennon u.a.), dem 
        abgefahrenen Gitarristen Bill Frisell, Keyboarder Rob Burger und Geigen-Virtuosin 
        Jenny Scheinman sollten allerdings die irgendwie widersprüchlichen 
        Sound- und Songvorstellungen der alternativen Folk- und Countrysängerin 
        glücken. Will man doch meinen... 
      Und tatsächlich: Die CD ist voller Widersprüche! Das Cover 
        ist eine Augenweide  das Titelfoto zeigt die Sängerin in nachdenklicher 
        Pose, ein grimmiger Zug um die Mundwinkel, der Blick stur ins Nichts gerichtet. 
        Klappt man das Pappcover auf galoppieren einem im Gegenlicht Wildpferde 
        durch einen romantisch bewaldeten Bachlauf entgegen. Vielleicht ein Fingerzeig 
        an Der Pferdeflüsterer", dessen Soundtrack sie mit Still 
        I Long For Your Kiss" maßgeblich veredeln half. Das 16-seitige 
        Booklet wiederum erinnert mit dem grobkörnigen Aufmacherfoto an die 
        Zeit der amerikanischen Depression, an Steinbecks Früchte des 
        Zorns", an Armut, Elend, Einsamkeit. Die Fotos im Innenteil könnte 
        man in ihrer Magenta-Nostalgie an eine Liebeserklärung an den Mittleren 
        Westen der USA deuten; an die Zeit, als man noch glaubte, alles sei möglich, 
        alles werde gut; als Amerika noch für die unbegrenzten Möglichkeiten" 
        im positiven Sinne stand. 
      Diese Widersprüchlichkeit, dieses kontrastieren der Pole findet 
        musikalisch ihre Fortsetzung. Großartiges wechselt sich ab mit Banalem; 
        Feingeistiges mit Grobschlächtigem; Trauriges mit Lustigem; Intelligentes 
        mit Stumpfsinn. Vermutlich ist es wichtig zu wissen, dass Lucinda Williams 
        einiges zu verdauen hatte: Ihre Mutter starb und auch sonst hatte sie 
        privat einiges wegzustecken. Wie für Musiker üblich, ist Songschreiben 
        die beste Therapie. Doch manchmal möchte man es, ehrlich gesagt, 
        gar nicht so genau wissen. Wie sie beispielsweise in dem lauten, rockigen 
        Come On" über ihren Ex abledert, na ja ... Oder das musikalisch 
        überzeugende, textlich aber irritierende Fancy Funeral". 
        Sorgen könnte man sich über sie allerdings machen, liest man 
        die einfach nur albernen Textzeilen von What If"  da 
        singt sie doch allen Ernstes Zeilen wie: If cats walked on water, 
        and birds had bank accounts, and we loved one another in equal amounts." 
        Dummerweise verpackt sie diesen hochkarätigen Unsinn in wundervolle, 
        elegische Klänge. Widersprüche, Sie verstehen... 
      Doch die CD hat auch einige wirklich exzellente Songs zu bieten. Die 
        wundervolle Liebeserklärung an ihre Mutter Mama You Sweet", 
        das melancholische, mit einer herrlichen Gitarre verzierte Rescue", 
        der hypnotisierende Opener Are You Alright?" (ähem, diese 
        Frage stellt sie im Verlauf des Songs übrigens genau 22 Mal). Dadaistisch 
        monoton dagegen kommt das mit einem verstörenden Telefongemurmel 
        beginnende Wrap My Head" daher  wer sich eine rappende 
        Amanda Lear in ausgewaschenen Jeans und Cowboystiefel vorstellen kann, 
        liegt nicht so ganz falsch. 
      Fazit: Lucinda Williams hat harte Zeiten hinter sich  das hört 
        man auch. Trotz mancher Fehlgriffe bleibt sie trotzdem eine der interessantesten 
        Singer/Songwriterinnen im Folk und Country.  
      (Gunther Matejka, CountryMusicNews.de)  
     
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       Obwohl sich die Arrangements von dem charakteristischen Mix aus Blues, 
        Country und Folk entfernen, ist West wahrscheinlich Lucinda Williams 
        bestes Album. Jedenfalls ist es musikalisch mit Abstand ihr mutigstes 
        und auch textlich oft außergewöhnlich stark. Selbst ihr Gesang 
        klingt besser denn je, von dem Verletzlichkeit ausstrahlenden Where 
        Is My Love? bis zu Unsuffer Me, das wie ein reinigendes 
        Gewitter wirkt. Der New Yorker Produzent Hal Willner, der schon mit Künstlern 
        wie Marianne Faithful und Lou Reed arbeitete, hat progressive Musiker 
        engagiert, die in verschiedensten Stilen zu Hause sind: Mit Bill Frisell 
        an der Gitarre, Bob Burger an den Tasten, Jenny Scheinman an der Geige 
        und Gary Louris von den Jayhawks als Backgroundsänger lässt 
        Willner ein vielschichtiges Klanggewebe entstehen. In einem großen 
        Teil der Songs verarbeitet Lucinda Williams den Tod ihrer geliebten Mutter 
        (Mama You Sweet, Fancy Funeral) oder (in dem aggressiven, 
        vernichtenden Come On und dem mantrahaften Wrap My Head 
        Around That) das hässliche Ende einer Beziehung. Are 
        You Alright?, Learning How to Live und Everything 
        Has Changed schließlich könnten die Nachwehen beider 
        Ereignisse widerspiegeln. Weitere Höhepunkte sind Rescue, 
        das durch distanziertes Understatement und pulsierende Ambient-Sounds 
        an Beth Orton erinnert, und der träumerisch-melancholische Titeltrack. 
        Lucinda Williams ist mit ihrer Musik ja schon immer Wagnisse eingegangen, 
        aber noch sie so große wie mit West.  
      (Don McLeese, Amazon.de)  
      
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