Robyn Hitchcock: "1967: Vacations In The Past" (Tiny Ghost, Nov. 2024) |
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Robyn Hitchcock ist ein Rock'n'Roll-Surrealist. Der 1953 in London geborene Musiker beschreibt seine Songs als "Bilder, denen man zuhören kann". Er ist ebenso ein Kind von Dali, De Chirico und J.G. Ballard wie von seinen musikalischen Helden der 1960er Jahre und ist ein Meister des Absurden.
Ohne jemals die Oberfläche der Popkultur zu durchbrechen, hat sich Hitchcock fast fünf Jahrzehnte lang vom Mainstream abgesetzt. Seine Songs wurden unter anderem von REM, The Replacements, Neko Case, Gillian Welch & David Rawlings, Lou Barlow, Grant Lee Phillips, Sparklehorse und Suzanne Vega mit den Grateful Dead interpretiert. Als ausgewiesener Außenseiter hat er dennoch eine treue Zuhörerschaft in aller Welt, die seine Konzerte besucht.
Das Album "1967 - Vacations In The Past" ist eine Auswahl der (zum großen Teil) Hits des Jahres, die Robyn mit Hilfe einiger Freunde in Cambridge, San Francisco und Sydney akustisch neu aufgenommen hat.
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Lone Justice: "Viva" (Fire/Afar, Okt. 2024) |
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Die Band, welche Alternative Country zum Durchbruch verhalf, ist zurück! 1983 begann Lone Justice in den Clubs von Los Angeles zu spielen und machte sich schnell einen Namen.
1984 bereits wurde man von Geffen Records unter Vertrag genommen, 1985 erschien das selbstbetitelte Debütalbum, mittlerweile ein Klassiker der Rockgeschichte mit geradezu ikonischem Cover. Die LA Times kürte es zum »Album des Jahres«. Sie spielten Konzerte mit U2, Tom Petty & The Heartbreakers und Willie Nelson. Doch bereits nach dem zweiten Album löste sich die Band früh in 1987 auf, Sängerin Maria McKee und auch die Instrumentalisten begannen ihre Solokarrieren. Im Jahr 2024 hat die Band 37 Jahre später ein neues, drittes Album fertiggestellt, mit zum größten Teil inspirierten Interpretationen von Fremdmaterial und Tradtionals, auf dem alle ursprünglichen Mitglieder des Debütalbums noch zu hören sind: Maria McKee, Ryan Hedgecock, Marvin Etzioni und auch der mittlerweile verstorbene Don Heffington. Zu den zusätzlichen Gästen gehören die Streicherarrangeurin Tammy Rogers, der Multihornist David Ralicke, Greg Leisz an der Steel-Gitarre und Benmont Tench am Klavier. Das Eröffnungsstück »You Possess Me« stellt Sängerin McKee in den Mittelpunkt, nur unterstützt von einem Streicher- und Mandolinenquartett.
»Rattlesnake Mama« war einst ein dröhnendes elektrisches Stück in ihrem Live-Set von 1983 - diese Version ist jedoch rein akustisch mit Hedgecock an Harp und Tammy Rogers an der Fiddle. Später kreischen sie durch eine juvenile, atemberaubende Coverversion von ›Teenage Kicks‹ (der 1978er Single von The Undertones). Die Energie hält mit spürbarer Begeisterung für die Musik an und lässt Viva Lone Justice zu einem unerwarteten, inspirierenden Comeback werden. Lass den zweiten Frühling von Lone Justice auch dein Herz berühren, auch deine Scheune mit Folk, Rock, Country & Americana abbrennen.
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Laura Marling: "Patterns In Repeat" (Chrysalis/Partisan, Okt. 2024) |
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Die mehrfach für den Grammy und den Mercury Prize nominierte und mit dem Brit Award ausgezeichnete Laura Marling ist 2024 mit ihrem achten Studioalbum »Patterns in Repeat« zurück.
Nach nunmehr acht Alben und mehr als 15 Jahren in ihrer Karriere als eine der meistgefeierten, produktivsten und respektiertesten Songwriterinnen ihrer Generation will Laura mit »Patterns in Repeat« andere Räume besetzen und weiterhin überraschen: »Laura Marling ist nicht ganz die, für die du sie hältst.« Geschrieben nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2023 und aufgenommen mit ihr im Zimmer nebenan, reflektiert Laura auf »Patterns in Repeat« ihre eigenen Erfahrungen als Mutter. Die Musik stammt aus einer bestimmten und aufschlussreichen Zeit in Lauras Leben, aber sie setzt sich auch mit den Ideen und Verhaltensweisen auseinander, die wir über Generationen hinweg innerhalb der Familie weitergeben. Fast ausschließlich akustisch, mit minimalem Overdubbing und elegant gesetzten orchestralen Akzenten, ist dies die feinfühligste Songsammlung in Lauras Karriere.
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Dawes: "Oh Brother" (Dead Ringers, Okt. 2024) |
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Zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt zieren die Brüder Taylor und Griffin Goldsmith das Cover einer Dawes-Platte. Diesmal sind es nur die beiden, und so markiert »Oh Brother« ein neues, unverwechselbares Kapitel für die kalifornische Rockband - eines, das sowohl introspektiv als auch zugänglich ist, ohne dabei ihren geliebten Sinn für Aufrichtigkeit zu verlieren.
»Oh Brother« lenkt Dawes entschieden nach vorne und würdigt die 15-jährige musikalische Beziehung von Taylor und Griffin sowie die kommende Ära ihrer Band. Eine hausgemachte, klebrige, rohe Platte, die in einem Raum von der Größe eines Badezimmers im Laufe von ein paar Wochen entstanden ist.
Erstmals gemeinsam mit ihrem langjährigen Freund Mike Viola produziert, wurden die neun Songs zunächst nur mit Taylor an Gitarre und Gesang und Griffin am Schlagzeug aufgenommen. Im ersten Schritt zunächst gemeinsam live, bevor sie zusätzliche Instrumente hinzufügten und im Studio mit dem Tourgitarristen Trevor Menear zusammenarbeiteten.
Dawes ist eine Band, die sich nahtlos zwischen Folk-Rock, Piano-Balladen und ausgedehnten Jams bewegen kann und dabei sowohl einen sofort erkennbaren Sound als auch die Freiheit von Erwartungen beibehält. Auch wenn die Goldsmith-Brüder neue Kapitel in ihrem persönlichen und beruflichen Leben aufschlagen, zeigt »Oh Brother«, wie sie kreativ, ehrgeizig und inspiriert bleiben - was es bedeutet, ein Leben lang in einer Band zusammen zu sein.
Für Fans von Deer Tick, The Avett Brothers, Jason Isbell, Josh Ritter, Hiss Golden Messenger, Nathaniel Rateliff.
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Tindersticks: "Soft Tissue" (City Slang/Lucky Dog, Sept. 2024) |
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Viel zu bieten
Auch auf ihrem neuen Album »Soft Tissue« bleiben die Tindersticks brillant, aber schwer zu fassen.
Von cineastischem Kammerpop mit Streichern über soulige Bläser bis hin zu entspannten Trip-Hop-Loops haben die acht neuen Songs wieder einiges zu bieten. Wie Stuart Staples und seine Band daraus ihren ganz eigenen Sound kreieren, ist große Kunst.
Das 14. Studioalbum einer der einflussreichsten britischen Bands der letzten drei Jahrzehnte!
»Soft Tissue« ist ihr bisher gelungenstes Album und ein Schlüsselwerk in ihrer Diskografie und es verbindet die gefühlvolle Essenz ihrer frühen Musik mit beispielloser Musikalität, die das Album zu außergewöhnlichen Höhen erhebt.
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Tom Liwa: "Primzahlen Aus Dem Bardo" (D,DMFK, Juli 2024) |
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"Primzahlen aus dem Bardo" ist ein hybrid aus dem luftig groovenden impro-folkrock der LEUCHTTURMBAND und dem input der überragenden saxofonistin LUISE VOLKMANN, die hier als zweite, melodieführende stimme neben TOM LIWAs gesang fungiert. das ergebnis ist nicht wirklich vergleichbar mit irgendetwas, das es schon mal gab.
textlich nimmt das doppelalbum den faden von "Eine andere Zeit" auf: großes erzählkino mit quer- (und queer-)verweisen so gut wie überall hin sowie häufiges sich-auf-einander-beziehen der einzelnen, bis zu 15 minuten langen songs.
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Linda Thompson: "Proxy Music" (Storysound, Juni 2024) |
[Cover The Cover |
Roxy Music]
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Das neueste Projekt der berühmten britischen Sängerin und Songschreiberin Linda Thompson, das den treffenden Namen „Proxy Music“ trägt, besteht aus Künstlern, die von Linda und ihrem Sohn (und Co-Produzenten des Albums) Teddy Thompson ausgewählt wurden, um eine neue Reihe ihrer Lieder „stellvertretend“ aufzunehmen. Thompson, die der Rolling Stone als „eine der schönsten Stimmen des Rock'n'Roll“ bezeichnete, kann aufgrund einer seltenen Stimmerkrankung nur noch eingeschränkt singen.
"Proxy Music“ zeigt jedoch eindrucksvoll ihre Bandbreite und ihr Können als Songwriterin. Tracks wie „Darling This Will Never Do“ und „Mudlark“ haben eine zeitlose Qualität, während „Those Damn Roches“ und „John Grant“ (von John Grant selbst gesungen) eine sehr moderne Sensibilität aufweisen.
Proxy Music“ enthält Auftritte von Lindas langjährigen Freunden und Bewunderern wie Rufus Wainwright, Martha Wainwright, Eliza Carthy, The Proclaimers, Dori Freeman und Grant sowie von vielen talentierten Thompsons, darunter ihre Kinder Teddy und Kami und ihr Ex-Mann Richard Thompson, der bei einigen Stücken Gitarre spielt. „Musik in meiner Familie“, sagt Thompson. „Sie ist wie Klebstoff. It binds us.“
Linda Thompson is a heroine in the British folk music community, a gifted vocalist who was already a respected singer before she wed Richard Thompson and with him made a string of brilliant albums, bookended by the masterpieces I Want to See the Bright Lights Tonight (1974) and Shoot Out the Lights (1982). She would later mature into an outstanding songwriter, and with 2002's Fashionably Late she relaunched her career with a superb LP that blended folk and pop influences old and new, created with the help of her talented family. However, Linda also lives with spasmodic dysphonia, a neurologic disorder that makes it extremely difficult to sing; it kept her away from the studio for years before Fashionably Late, and still reappears periodically to this day. The title of 2024's Proxy Music, along with being a witty reference to the great British folk-rock band (Linda parodies the cover of their debut album for Proxy Music's sleeve), also offers a clue to how the album was created. With Linda once again prevented from singing by spasmodic dysphonia, she and co-producers Teddy Thompson and Edward Haber instead recruited a team of vocalists handpicked by Linda and Teddy to handle the vocals in her place for a collection of the latest songs she had written.
It's clear that Linda's desire to see these songs documented was based on more than mere vanity. These are great tunes -- from the folkie purity of "Mudlark" and "Bonnie Lass," the elegant classicism of "Or Nothing at All" and "Darling This Will Never Do," to the clever, mature pop of "John Grant" and "Three Shaky Ships," and the deeply personal introspection of "I Used to Be So Pretty" -- and her unpretentious, deeply affecting strength as a lyricist is matched by her graceful way with a melody. The singers who were recruited to deliver the material clearly understand the songs and how good they are, and they uniformly rise to the occasion of singing them with the skill and sensitivity they warrant. Ren Harvieu perfectly embodies the sorrow and betrayal in "I Used to Be So Pretty" (Richard Thompson plays guitar and harmonium on the track), Rufus Wainwright sounds suave and seductive on "Darling This Will Never Do," John Grant sings Linda's fan letter to him, "John Grant," with sensitivity and understated wit, Eliza Carthy's voice and fiddle were made to order for the updated trad sound of "That's the Way the Polka Goes," and the Rails (featuring Linda's daughter Kami Thompson) lend "Mudlark" excellent vocal harmonies that give the nuances of the tune all the support they deserve. (It also features a backing vocal contribution from Linda, her only singing on this project.) And the closer, "Those Damn Roches," with Teddy Thompson on lead while supported by many of the album's participants, is a loving and deeply moving homage to the many musical families she's known and loved over the years, and a celebration of the lasting bonds of blood, friendship, and song. It's a summation of how much Linda Thompson loves music and the people who make it, and that's the not-so-secret theme of Proxy Music -- she clearly wanted an audience to hear these songs, but she also wanted a chance to create with artists she loves and respects, and the joy of creation is matched by the joy of hearing these musicians at work.
(by Mark Demming, All Music Guide)
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Bonny Light Horseman: "Keep Me On Your Mind / See You Free" (Jagjaguwar, Juni 2024) |
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Im Laufe der Jahre haben Bonny Light Horseman viele Meilen auf dem kollektiven Kilometerzähler des Lebens angesammelt. Das Kerntrio der Band - Anaïs Mitchell, Eric D. Johnson und Josh Kaufman - hat einen unvergleichlichen Lebenslauf angehäuft.
Mitchell ist eine gefeierte Solokünstlerin sowie Dramaturgin und Songschreiberin des erfolgreichen Broadway-Musicals »Hadestown«, das mit acht Tony Awards und einem Grammy für das beste Musical-Theater-Album ausgezeichnet wurde. Johnson ist vor allem als Kopf der beliebten Indie-Band Fruit Bats, als langjähriger Mitarbeiter von The Shins und als Komponist von Filmmusik bekannt. Und Kaufman ist ein Multitalent: Songwriter, Produzent und Gitarrist, der mit Künstlern wie Bob Weir, The War on Drugs, Taylor Swift, Hiss Golden Messenger und The Hold Steady zusammengearbeitet hat. Das Debüt von Bonny Light Horseman erhielt eine Grammy-Nominierung für das beste Folk-Album, und der Titel »Deep in Love« wurde für die beste amerikanische Roots-Performance nominiert. Wichtiger als all das ist jedoch, dass sie jeweils auch ein großes, altes, chaotisches und verworrenes Leben gelebt haben, und all dieses Leben durchdringt ihre Musik mit der Weisheit, dem Humor und der Tiefe, die den Auszeichnungen zugrunde liegen. Es ist der Stoff, der Folkmusik als Genre ausmacht: Liebe und Verlust, Hoffnung und Trauer, Gemeinschaft und Familie, Wandel und Zeit. Im Mittelpunkt von Bonny Light Horseman steht immer die einzigartige Kombination dreier kraftvoller und zärtlicher Künstler, die sich geschickt vor Superlativen drücken, aber schnell zugeben, dass ihre Verbindung jeden einzelnen besser, mutiger und verletzlicher macht, als sie es allein wären. Nirgendwo wird dies deutlicher als in der Kraft ihrer gemeinsamen Stimmen, die in den sanftesten Momenten und den unbarmherzigsten Schreien mit vollem Vertrauen ineinander arbeiten.
»Keep Me on Your Mind / See You Free« ist eine Ode an das gesegnete Durcheinander unserer Menschlichkeit. Selbstbewusst, großzügig, verletzlich, ungeschminkt, legt es jedes Gefühl und jeden vermeintlichen Fehler offen. Doch trotz all dieser menschlichen Berührungspunkte klingt »Keep Me on Your Mind / See You Free« als wäre es aus einer Art unerklärlicher Magie geschmiedet.
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Marina Allen: "Eight Pointed Star" (Fire, Juni 2024) |
[Centrifics (2022)]
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Das dritte Album von Marina Allen mit starkem und lebendigem Songwriting, wunderschön instrumentiert, hochmelodisch und mit einer unvergleichlichen lyrischen Perspektive vorgetragen. Mit zwei gefeierten Alben hat die in Los Angeles lebende Singer-Songwriterin eine frühe Ernte eingefahren, aber ihr drittes Studioalbum birgt den bislang größten Ertrag.
Verglichen mit den anschwellenden Kompositionen von Allens zweitem Album Centrifics oder der unschuldigen Ruhe von Candlepower, ist die Welt von Eight Pointed Star tiefgreifender und offener. Schimmernende Gitarren verziehren die Canyons und Staub wird von der rot vernarbten Erde aufgewirbelt. Allens Gesang ist rein und kristallin, während die Instrumentierung reichhaltig ist und vor Helligkeit nur so strotzt. Man kann hören, wie die Musik Zufriedenheit ausstrahlt und der Produktion von Chris Cohen Raum für eine volle Band bietet. Allens künstlerische Zuneigung gilt vor allem Sängern, die ihrer Meinung nach wirklich singen können, von The Roches bis Karen Dalton, Joanna Newsom und Meredith Monk. Aber diese Einflüsse verschwinden wie Gespenster auf dem Dachboden, wenn sie selbst zu singen beginnt. Allen hat eine Stimme, die es mit dem Kanon aufnehmen kann - unnachahmlich - und sie hat noch nie so entschlossen geklungen wie hier. Ein strahlender, klarsichtiger moderner Klassiker des alternativen Folk und Americana. Für Fans von Aldous Harding, Fiona Apple und Waxahatchee. Klassich schwarzes Vinyl mit DLC oder Digisleeve CD.
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Richard Thompson: "Ship To Shore" (New West, Mai 2024) |
[Ugly Cover by R.T.]
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In alter Frische
Für einen produktiven Künstler wie Richard Thompson sind sechs Jahre Pause zwischen zwei Platten eine kleine Ewigkeit. Umso schöner, dass sich der ehemalige Gitarrist von Fairport Convention nun mit seinem neuen Album »Ship To Shore« in alter Frische zurückmeldet.
Sein mittlerweile 19. Solowerk folgt auf das gefeierte »13 Rivers«, das vom englischen Uncut Magazine als »sein bestes Album seit Jahrzehnten« bezeichnet wurde. Für die Arbeit an »Ship To Shore« zog sich der mittlerweile 75-jährige Gitarrist und Sänger nach Woodstock, New York, zurück. Begleitet wird er auf den zwölf neuen Songs von seiner langjährigen Band und Toningenieur Chris Bittner. Das Team hat schnell gearbeitet – etwa eine Woche für die Aufnahmen, inklusive Gesang.
Beim Schreiben der Songs fühlte sich Richard Thompson instinktiv zu seinen eigenen musikalischen Wurzeln hingezogen. Die neuen Stücke schöpfen aus verschiedenen Stilen, Genres und Epochen, klingen aber unverkennbar nach dem Folk-Rock-Pionier aus London.
Da ist der rumpelnde, Motown-artige Rhythmus, der »Trust« antreibt, und der geradlinige Riff-Rock von »Turnstile Casanova«. Das dröhnende »The Old Pack Mule«, ein »Altherrenlied«, das musikalische Anleihen bei der europäischen Musik aus dem 16. Jahrhundert nimmt, und »Life’s a Bloody Show«, eine Ode an »Schlangenölverkäufer und Gauner«, die auf einer glamourösen, kabarettistischen Melodie schwebt. »Mir gefiel der Gedanke, eine starke Basis zu haben und von dort aus zu arbeiten«, sagt Richard Thompson. »Und ich denke, meine Basis ist die traditionelle britische Musik, aber es gibt auch schottische Musik, irische Musik. Es gibt Jazz, Country und Klassik. Was mich betrifft, wenn du erst mal eine Basis hast, kannst du überall hingehen. Es wird immer noch nach dir klingen, wo auch immer du musikalisch hingehen willst.«
Wie diese Freiheit klingt, demonstriert Richard Thompson auf »Ship To Shore« in Perfektion.
Wir belauern uns wie die Füchse
Richard Thompsons Album „Ship to Shore“ ist das Alterswerk eines großen Künstlers, der die Summe seines Schaffens zieht und es noch einmal wissen will.
Mit Träumen kennt Richard Thompson sich aus, mit Albträumen zumal. Dem erzählenden Teil seiner Autobiographie „Beeswing“, die vor drei Jahren erschienen ist, fügte er einige Seiten mit Traumprotokollen hinzu: die Begegnung mit einem zahnlosen, rätselhafte Sätze sprechenden Jesus in der Londoner U-Bahn, den Versuch, ein Porträt der nörgelnden Joni Mitchell zu deren Zufriedenheit zu malen, und schließlich das unbequeme Sitzen auf einem Müllberg aus alten Waschmaschinen, kopflosen Puppen und dergleichen mehr, die, so wird Thomp¬son allmählich klar, jeweils einen seiner Songs repräsentieren, während er um sich herum lauter ähnliche Müllberge mit anderen Singer/Songwritern entdeckt.
Besonders dieser Traum ist unschwer zu deuten. Die Anhänger des seit den späten Sechzigern aktiven Musikers, der seither viele Hundert Songs geschrieben hat, sehen ihn wohl eher auf einem Berg von Juwelen sitzen. Dass beides zusammengehört, der fundamentale Selbstzweifel und der künstlerische Triumph, ist Thompsons Werk indessen eingeschrieben, das von Verstörungen und Enttäuschungen erzählt, vom Ringen um Inspiration und vom Verlust von Illusionen, meisterlich dargestellt bereits in „The End of the Rainbow“, einem Lied, in dem ein junger Vater sein in der Wiege liegendes Kind darüber aufklärt, dass es keinen Grund dafür gebe, überhaupt aufzuwachsen – kein Gold am Ende des Regenbogens, auch nichts sonst.
Wie Thompson über die Jahre speziell Albträume musikalisch gebannt hat, zeigen frühere Songs wie „I can’t wake up to save my Life“ oder „Snow Goose“, aber von den Splatterfilm-Bildern des einen oder der bedrohlichen Sanftheit des anderen ist in „The Fear Never Leaves You“ nichts zu spüren, einem der herausstechenden Lieder auf Thompsons jüngst erschienener Platte „Ship to Shore“. Der Künstler, in früher Jugend schon ein begnadeter Gitarrist, damals aber noch ein eher limitierter Sänger, setzt seine seither rasant gewachsene stimmliche Virtuosität hier ein, um den nächtlichen Ängsten eines Veteranen einen unvergesslichen Ausdruck zu verleihen. Denn unter der tiefen, souveränen Stimme liegt in der ersten Strophe nur die treibende Perkussion von Thompsons Weggefährten, dem Drummer Michael Jerome, bis Thompsons Gitarre und Taras Prodaniuks Bass einsetzen, etwas später noch die diskrete Harmoniestimme von Thompsons Lebensgefährtin Zara Philips. Das Arrangement ist gewohnt sparsam, aber äußerst effizient, und Thompson insistiert in dringlichen Wiederholungen auf dem offensichtlichen Zen¬trum dieses Lieds: „If you should ¬dream the dreams I dream / You’d never sleep again.“
Zwölf Lieder umfasst das Album, jedes geht musikalisch eine enge Verbindung mit der Färbung des jeweiligen Textes ein, was zugleich die unterschiedlichen Stile in Erinnerung ruft, die Thompsons reiches Œuvre seit seiner Zeit mit der Band Fairport Convention prägen: „Singapore Sadie“ klingt wie ein Shanty in Moll, in „Maybe“ setzt sich die Unsicherheit des Sängers über die Verbindung mit einer undurchschaubaren Frau musikalisch im fortdauernden Wechsel zwischen zwei Dur-Dreiklängen im Ganztonabstand fort, und „The Old Pack Mule“, das grausige Lied über Hunger und notwendigen Egoismus in harten Zeiten, zitiert musikalisch das Mittelalter wie einst Thompsons „One Door Opens“ oder noch früher sein Konzeptalbum „Bones of all Men“, aber entschlossener und mit dem Mut zur stilistischen Dissonanz.
Bei alldem ist die Handschrift des 75 Jahre alten Künstlers überall sichtbar, die Gitarrensoli rühren unverkennbar von ihm her, nicht nur in dem leichtfüßigen „Turnstile Casanova“, das im Intro Thompsons „Nearly in Love“ aus den Achtzigerjahren zitiert. Und während hier eine beendete Beziehung mit der Beobachtung charakterisiert wird, die Liebenden hätten einander gestalkt „like a pair of foxes“, ist die Platte insgesamt frei vom Abwarten, vom Verharren in gewohnten Gleisen. Das Aufbruchsversprechen, das schon in Thompsons ambitioniertem Album „13 Rivers“ von 2018 sichtbar wurde, löst das vor Ideen übersprudelnde „Ship to Shore“ glänzend ein.
(Tilman Spreckelsen, FAZ, 11.06.2024)
Immer wieder zeigt Thompson sich stilsicher in allen Genres, schüttelt Folk, Rock’n’Roll und Balladen nur so aus dem Ärmel, streut seine große Gitarrenkunst wie beiläufig darüber.​
(GoodTimes, Juni/Juli 2024)
Almost a sequel to 2018's 13 Rivers, Ship to Shore reunites Richard Thompson's core band for another confident, self-produced set that plays like an amalgam of his career's disparate styles. Its lean and lively 12 songs were recorded in a single week-long stand at Woodstock, New York's Applehead Recording by engineer Chris Bittner. This follows a trend in Thompson's latter-day output, a renewed emphasis on feel and collaborative interplay over studio layering. It also provides an efficient delivery system for his two biggest assets: great songwriting and sharp, inventive guitar playing. To that end, Ship to Shore is one of the tightest collections he's made in the past quarter-century, exhibiting a wide tonal palette and a vitality belying his 75 years. Its title and maritime imagery are a little misleading; fans expecting bawdy shanties or a nautical epic in the vein of Fairport Convention's groundbreaking "A Sailor's Life" will instead find a particularly saucy set of bruised love songs, droll character studies, and ruminations on time's cruel passage. The signature folk-rock style he helped pioneer remains a baseline of his sound, especially on the loping "Freeze" and "The Old Pack Mule," the latter of which segues into a sprightly electric shuffle that could have come from Morris On or another early-'70s Fairport family gem. The punchy "Turnstile Casanova" has the energy of a '90s-era Thompson cut and slots right in among his countless wry odes to love gone wrong. Of course there is plenty of guitar work to be dazzled by, particularly the revved-up solos on "Maybe" and the wild improvisations at the end of "What's Left to Lose." It's stunning how a player so crafty and experienced can still throw himself into the deep and shred with such vigor. That he also remains a top-notch songsmith and vocalist makes him one of the rare triple-threats who consistently delivers.
(by Timothy Monger, All Music Guide)
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The Pearlfishers: "Making Tapes For Girls" (MA, Mai 2024) |
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Jessica Pratt: "Here In The Pitch" (City Slang, Mai 2024) |
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Fünf Jahre nach Jessica Pratts 2019 erschienenen Durchbruch-Album »Quiet Signs«, taucht sie mit neuen Ambitionen und neuen Parametern für ihre Musik wieder auf. Für ihr neues, viertes Album »Here In The Pitch« arbeitete sie erneut in Gary's Electric Studio in Brooklyn und mit ihrem bewährten Team: Multi-Instrumentalist/Engineer Al Carlson und Keyboarder Matt McDermott.
Zusätzlich holte sie sich das Rhythmus-Duo Spencer Zahn und Mauro Refosco (David Byrne, Atoms for Peace) an die Seite, weitere Beiträge auf dem Album kommen von Ryley Walker, Peter Mudge (Mac Miller, Kendrick Lamar) und Alex Goldberg.
Die Musik ist intim und emotional, wie es die Fans erwarten und die Texte sind ein impressionistischer Lobgesang auf die Unwägbarkeiten des Ehrgeizes. In den letzten 12 Jahren hat sich die verehrte Künstlerin aus Los Angeles zu einer der einzigartigsten Songwriterinnen ihrer Generation entwickelt. Vor allem durch die mystische, schwer fassbare Mischung aus ihrer zarten Akustikgitarre und ihrem atemberaubenden Gesang.
Für »Here In The Pitch« schwebte Jessica Pratt eine größere Bandbreite an Einflüssen vor - große Panoramaklänge, die an den Ozean und Kalifornien denken lassen - und in diesen neun Songs werden Pauken, Glockenspiel, Baritonsaxophon und Flöte mit robusten Gesangsarrangements überlagert, die eine triumphale Stimmung erzeugen, selbst wenn die Texte auf Verwüstung hindeuten. Diese breitere Produktionspalette wird sofort beim eindringlichen Album-Opener und der ersten Single »Life Is« deutlich. Ein Schlagzeugwirbel erinnert an den großen, orchestralen Stil von 60er-Jahre-Pop-Hits wie »The Sun Ain't Gonna Shine Anymore« von den Walker Brothers.
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The Staves: "All Now" (Communion, März 2024) |
["Good Woman" (2021)]
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Die letzten Jahre standen im Hause der Staves-Schwestern für Veränderung – so sind die eigentlich zu Beginn als Folk-Trio agierende Geschwister neuerdings zu einem Duo geschrumpft nachdem Emily Staveley-Taylor Mutter geworden ist, haben neu bei Communion Records einen Label-Deal unterschrieben. Seit 2012, als sich The Staves erstmals mit ihren kristallinen dreistimmigen Harmonien und ihrer beschwingten, vom Folk beeinflussten Songkunst vorstellten, hat sich auch der ‹klassische» Staves-Sound subtil, aber bemerkenswert verändert, und die Band schlägt ein völlig neues Kapitel auf.
Was jedoch geblieben ist, wie Fans und Kritiker bestätigen können, ist ihr Gespür für fesselnde Melodien und Verse, beides wunderschön umgesetzt von den stets zuverlässigen, schillernden Stimmen.
Konzerthighlight: Stadtgarten, Köln, 09.05.2024
Jetzt habee ich doch glatt vergessen, meine Eindrücke vom Konzert direkt im Anschluss festzuhalten!
Das lag natürlich daran, dass ich mit meinem Kumpel Gerd mitten im Kurzurlaub in (D)Rhöndorf (unterm Drachenfels)
war und wir mit unseren Deutschlandtickets von dort nach Köln angereist und auch wieder dorthin hingefahren sind.
OK, wie war's? Sehr schön, vor allem natürlich, weil ich die Mädelz zum ersten mal live gesehen habe. Mag sein,
dass es mir noch besser gefallen hätte, wenn mir das neue Album, das einen großen Anteil an der Setliste hatte,
besser gefallen würde im Vergleich zum genialen Vorgänger "Good Woman". Und ganz bestimmt hätte ich noch viel lieber
drei statt zwei Schwester in perfekter gesanglicher Harmonie gehört. Aber so musste es reichen und war auf jeden
Fall ein wundervoller Abend.
(23.05.2024)
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(2024-11-19)